Klaus Gaiser ist Pionier für pflanzlichen Fleischersatz. Im Interview spricht er über die Kunst, Alternativen zu Bratwurst und Burger herzustellen, über Preise und einen Fehler im System.
Pflanzliche Produkte sind gesünder und besser für die Umwelt als tierische. Klaus Gaiser hat deshalb bereits 1980 als einer der ersten in Deutschland begonnen, Tofu in größerem Stil herzustellen. 1993 gründete er die Firma Topas, deren Produkte auf der anderen pflanzlichen Säule der asiatischen Küche basieren: Seitan.
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Aus seinem schwäbischen Familienbetrieb ist ein europaweit agierendes Unternehmen mit 120 Mitarbeitern und einem zweistelligen Millionenumsatz geworden. Es produziert unter den Marken Wheaty und Veggyness mehr als 30 vegane Fleischalternativen in Bioqualität, die auch in Sachsen zu finden sind – von der Bratwurst über Burger, Aufschnitt, Steaks bis hin zu Gyros. Sächsische.de sprach mit dem 71-Jährigen, der noch heute bei der Produktentwicklung mitwirkt.
Herr Gaiser, bei vegan denken viele zuerst an Soja und Tofu. Sie verwenden heute für Ihre Fleischalternativen Seitan. Warum?
Weil Sie mit westlichem Tofu keine bissfeste Konsistenz hinbekommen. Für fleischähnliche Produkte eignet sich Seitan besser, und es ist vielfältiger zu verarbeiten.
Was ist überhaupt Seitan?
Seitan besteht aus Weizeneiweiß. Es wird aus einem Teig aus Weizenmehl und Wasser hergestellt, der mit kaltem Wasser ausgewaschen wird. Dabei wird dem Teig die Stärke entzogen. Zurück bleibt das zähe, wasserunlöslichen Klebereiweiß des Weizenmehls, auch als Gluten bekannt. In China wurde Lebensmittel aus gekochtem Getreideeiweiß schon vor fast 1 500 Jahren hergestellt. Dort heißt Weizeneiweiß Mian-jin, während es die Japaner Fu nennen. Das Wort Seitan ist eine Neuschöpfung von Georges Ohsawa. Der japanischstämmige Begründer der makrobiotischen Ernährungslehre hat 1962 erstmals ein fleischähnliches Produkt unter diesem Namen auf den Markt gebracht. Die Bedeutung von „Sei“ ist umstritten. Sie kann im Japanischen „klar, rein“, „Leben“ oder „gut gemacht“ bedeuten, „Tan“ ist der Anfang von „Tanpaku“ und heißt übersetzt „Protein“.
Sie haben mehrere Jahre in Asien gelebt und Seitan dann nach Deutschland gebracht?
Ganz so einfach war es nicht. Ich habe zu Hause angefangen, Weizenteig auszuwaschen. Die ganze Küche war weiß von der Stärke, und meine Frau fragte schockiert: ,Aus sowas willst Du etwas zum Essen machen?‘ Ich habe in meiner Tofu-Zeit gemerkt, dass es keinen Sinn hat, die Deutschen umzuerziehen und habe mit Seitan experimentiert, um ihn dem mitteleuropäischen Geschmack anzupassen – durch vielfältige Veränderungen in den Zutaten, in der Form, Kompression, Temperatur oder Kochweise.
Wie werden aus Seitan Bratwürste oder Steaks, die dann tatsächlich wurst- oder fleischähnlich schmecken?
Der Seitan kommt bei uns zusammen mit Wasser, Bioöl und einer produktspezifischen Mischung aus Biogewürzen in den sogenannten Kutter. Dort wird alles miteinander vermengt, so lange, bis eine emulgierte Masse entsteht. Diese füllen wir maschinell in Kunstdärme ab. Für Aufschnitt sind sie größer als für Bratwürste. Dann geht es in die Kocherei. Durch das Kochen wird die Bindung erreicht, die wichtig für die Konsistenz ist. Während Aufschnitt nur gekocht und dann geschnitten wird, räuchern wir andere Produkte noch – unterschiedlich lange, bis der jeweils gewünschte Geschmack zur Geltung kommt. Das Raucharoma erreichen wir durch maschinelle Reibung von heimischem Buchenholz. Damit muss kein Holz verbrannt werden. Wir vermeiden gesundheitsschädliche Rückstände wie Teer und Benzoapyren.
Klingt gar nicht so kompliziert. Was sind die größten Herausforderungen bei der Produktion?
Oh, da gibt es viele. Ich erinnere mich noch an meine ersten Versuche, die wie Schuhsohlen waren. Um eine locker-fluffige Konsistenz hinzubekommen, braucht es die richtigen Zutaten und die richtige mechanische Bearbeitung. Erschwerend kommt hinzu, dass Weizeneiweiß nicht neutral, sondern etwas muffig schmeckt. Die Kunst besteht nun darin, dem künftigen Produkt die Muffigkeit abzugewöhnen – vor allem durch die gezielte Auswahl von Zutaten, die den Fremdgeschmack vertreiben oder überdecken. Auch die richtige Würzmischung zu finden, die mit der pflanzlichen Alternative eine geschmackliche Symbiose eingeht, ist nicht einfach. Ich habe mir anfangs Anleitungen für die Wurstproduktion gekauft, aber die lassen sich nicht 1:1 übertragen. Zwar weiß man, dass zum Beispiel eine Thüringer Bratwurst Majoran und Thymian im Geschmacksprofil enthält. Aber im pflanzlichen Umfeld treten manche Gewürze zu dominant hervor, manche verschwinden fast. Da hilft nur Ausprobieren. Viel falsch machen kann man auch bei der Wahl des Öls. Es muss mit hohen Temperaturen zurechtkommen und darf beim Erhitzen kein giftiges Acrolein bilden. Und dann ist da noch das Problem von Form und Farbe.
Inwiefern?
Beim Gyros zum Beispiel war mir wichtig, dass es nicht quadratisch geschnitten aussieht, sondern auch in der Form dem Original nahe kommt. Farblich ist das Problem, dass Weizeneiweiß mausgrau aussieht. Doch wie bekommt man eine rote, fleischähnliche Färbung hin? Viele Extrakte sind nicht kochstabil. Pflanzenfarbstoffe wie Anthocyane, wie sie zum Beispiel in Roter Beete vorkommen, würden die Wurst sauer machen. Das will ja keiner. Bis vor einem Jahr konnten wir nur mit Paprikaextrakten arbeiten, inzwischen gibt es auch relativ stabile Extrakte aus roten Wurzeln.
Vegane Produkte sind in die Kritik geraten, weil sie oft viel Salz und viele Zusatzstoffe enthalten.
Deshalb haben wir deutlich höhere Qualitätsstandards als einige industrielle Anbieter. Unsere veganen Produkte werden ausschließlich in Deutschland nach strengen Bio-Vorgaben produziert. Sie enthalten keine Konservierungsstoffe, kein Palmöl, keine Carrageene, kein Meer-, sondern Steinsalz. Unsere Maxime ist, dass für die Rohstoffe keine Wälder abgeholzt und keine Menschenrechte verletzt werden und dass die Transportwege kurz sind.
Und was ist mit Gluten? Noch vor kurzem übten sich vor allem Frauen, auch ohne Allergie, im Glutenverzicht. Nun ist es in Form von Seitan plötzlich wieder populär?
In Deutschland wird doch immer mal wieder eine Sau durchs Dorf getrieben: Früher waren es Hefe oder Eier. Die große Mehrheit verträgt Gluten. Weil aber immer noch viele Menschen danach fragen, haben wir mit der Marke Free auch glutenfreie vegane Produkte auf der Basis von Erbsenprotein im Sortiment.
Veganer Fleischersatz ist deutlich teurer als das tierische Original. Ist das Geldschneiderei?
Nein, Wettbewerbsverzerrung. Fleisch ist in der Erzeugung um ein Vielfaches teurer als der Preis, den Sie beim Metzger oder gar im Supermarkt zahlen. Es wird aber auf ganzer Linie subventioniert. Diese Subventionierung müsste aufhören, wenn es die Regierung mit ihren Klimazielen und der Gesundheit der Bevölkerung ernst nehmen würde. Für unsere Fleischalternativen sind die Rohstoffpreise in schwindelerregende Höhe geklettert, nicht nur für Bio-Weizen. Alles ist teurer geworden: die Energie, der Transport, Personal. Als Mittelständler läuft bei uns zudem noch viel händisch.
Sind denn die Verbraucher bereit, die höheren Preise für Fleischersatz zu bezahlen?
Pflanzliche Produkte haben stark an Beliebtheit gewonnen, vor allem bei jungen Menschen. Das hätte ich mir vor 30 Jahren gar nicht träumen lassen. Trotzdem merken wir nun, wo das Geld krisenbedingt bei vielen knapper wird, dass selbst überzeugte Veganer eher in den Supermarkt statt in den Bio- oder Naturkostladen gehen.
Sollte die Bundesregierung den Fleischkonsum gesetzlich regulieren – zum Beispiel durch einen Veggie-Tag in öffentlichen Kantinen, wie er schonmal gescheitert ist?
Ich bin allergisch gegen gesetzliche Regulierungen, denn ich habe ein Jahr in China in der Diktatur zugebracht. Was die Regierung beziehungsweise Brüssel aber tun müsste, ist, mit der Subventionierung von Fleisch aufzuhören. Strengere Regeln wünsche ich mir nicht für die Menschen, sondern für die Tiere, die milliardenfach unter fürchterlichen Bedingungen ausgebeutet werden und sich nicht wehren können. Ein Ende des Tierleids in den Tierfabriken ist für mich der Hauptantrieb, selbst mit 71 Jahren weiter an neuen fleischlosen Produktideen zu tüfteln.
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